Dies Domini – Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel
Der Papst ist unfehlbar – zumindest dann, wenn er „ex cathedra“ spricht. Die Unfehlbarkeit des Papstes sorgt bis heute für Diskussionen: Kann es sein, dass ein sterblicher Mensch ewige Wahrheiten verkünden und definieren kann – Wahrheiten, die von ihrer öffentlichen Verkündigung absolut zu glauben und nicht zu ändern sind? In den Wirren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die weltliche Macht der Päpste schwand und der Kirchenstaat von der Bildfläche verschwand, war die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem 1. Vatikanischen Konzil eine geistliche Machtdemonstration. Die Kirche mochte an ihrem irdischen „Leib“ geschrumpft sein, geistlich wurde sie zum Riesen. Das erinnert nicht nur ein wenig an den Scheinriesen Herrn Turtur von Michel Ende, der nur in der Ferne groß wird, aber schrumpft, je näher man ihm tritt. Zumindest im Westeuropa des Jahres 2021 hat die Kirche auch ihren geistlichen Einfluss – päpstliche Unfehlbarkeit hin, päpstliche Unfehlbarkeit her – längst weitestgehend eingebüßt, nicht zuletzt, weil moralischer Anspruch und moralische Wirklichkeit, wie allein die immer häufiger zutage tretenden Missbrauchsfälle zeigen, für die Kleriker verantwortlich sind, diametral auseinanderdriften. In Irland ist längst Wirklichkeit, was auch in Deutschland wohl in wenigen Jahren bevorsteht: Wenn die Kirche es nicht schafft, den Missbrauch aufzuklären, wenn Täter und Vertuscher nicht vollumfänglich zur Rechenschaft und Verantwortung gezogen werden, wenn der Leib Christi endlich seiner irdischen Realität gerecht wird und sich nicht geistlich verliert, dann wird die Kirche nicht mehr ernst genommen werden. Ihre Irrelevanz ist jetzt schon mit Händen zu greifen.
Tatsächlich haben fast alle Päpste seit der Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit offenkundig eine gewisse Scheu gezeigt, unfehlbare Lehren ex Cathedra zu verkünden. Lediglich Papst Pius XII hat das mit Sicherheit am 1. November 1950 getan, als der die Lehre, dass die Gottesgebärerin Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde, als Dogma verkündete. Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel wird aber schon seit alters her gefeiert. Stammt die Überlieferung von der Himmelfahrt Mariens schon aus frühchristlicher Zeit, wie die apokryphe Schriftensammlung vom „Transitus Mariae“, die auf das späte zweite Jahrhundert n.d.Z. datiert wird, wird das zugehörige Fest in der Ostkirche kurz nach dem Konzil von Ephesus (431 n.d.Z.) in den Festkalender aufgenommen. Als Festdatum legt Kaiser Mauritius Ende des sechsten Jahrhunderts den 15. August fest, der ursprünglich als Festtag des Augustus begangen wurde (weshalb er in Italien immer noch als „Ferragosto“ bekannt ist). Seit dem 7. Jahrhundert wird das Fest auch in der römisch-katholischen Kirche gefeiert.
Das Fest selbst ist eine Verheißung. Sie scheint in der 2. Lesung vom Tage auf, wenn Paulus schreibt:
Christus ist von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen. Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören. 1 Korinther 15,20-23
Die Auferstehung Jesu Christi vom Kreuzestod erscheint prototypisch. Dass er gerade als Gekreuzigter aufersteht, ist für Paulus alles andere als Zufall, bedeutet der Tod am Kreuz mit Verweis auf Deuteronomium 21,23 doch den Ausweis der Gottverlassenheit. Die Auferstehung hingegen kann nur gottgewirkt sein. Jesu Auferstehung vom Kreuzestod führt deshalb vor Augen, dass Gott selbst die Gottverlassenen rettet. Das hat Folgen, weil nun das Heil allen Menschen offensteht. Folgerichtig folgert Paulus im Text der Lesung, dass nun alle (!) in Christus lebendig gemacht werden – freilich in einer bestimmten Reihenfolge: Erst Christus, dann die, die zu ihm gehören.
Genau dieser Gedanke liegt dem Hochfest Mariä Himmelfahrt zugrunde. Es bestätigt die Verheißung, dass die Auferstehung Christi nicht singulär, wohl aber prototypisch ist. Das ist das eine. Das andere ist, dass die Auferstehung eben keine bloß geistliche Angelegenheit ist, sondern eine leibliche: Maria wird mit Seele und Leib in den Himmel aufgenommen. Das aber ist bedeutsam, weil es die leibliche Wirklichkeit des Menschen, die in der irdischen Variante immer auch eine fleischliche-körperliche ist, hochschätzt. Paulus weiß, dass die irdische Existenz vergänglich ist und es deshalb im Tod eine Verwandlung des Leibes in eine ewig-unvergängliche gibt. So heißt es in der zweiten Lesung vom Vorabend des Hochfestes Mariä Himmelfahrt:
Wenn sich dieses Verwesliche mit Unverweslichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit, dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg. 1 Korinther 15,54
Gleichwohl bleibt die Leiblichkeit des Menschen an sich eine wertvolle Gabe Gottes, weil nur so die Seele eine personale Existenzweise erhält. Leib und Seele bilden eine Symbiose! Das eine kann nie ohne das andere sein, weil sonst der Mensch Form oder Sein verlieren würde. Wie wichtig gerade für Paulus die Leiblichkeit des Menschen auch und gerade in ihrer fleischlich-irdischen Weise ist, wird deutlich, wenn er diesen irdischen Leib als „Tempel des Heiligen Geistes“ bezeichnet:
Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott zerstören. Denn Gottes Tempel ist heilig und der seid ihr. 1 Korinther 3,16f
Auch darum geht es bei dem Hochfest „Mariä Himmelfahrt“ – um die Einheit von Seele und Leib. Wer auch immer dem Leib eines Menschen Schaden zufügt, versündigt sich auch an seiner Seele. Die Seele aber ist der göttliche Lebensfunken, der lebendigmachende Hauch des Höchsten. Haben das all die klerikalen Kinderschänder vergessen? Wussten das die frommen Nonnen in Irland, Kanada und sonstwo nicht, als sie Kindern mit Schlägen den „wahren“ Glauben einbläuten und nur allzu oft in den Tod trieben? Und was soll man von jenen geistlichen Führern halten, die weihevoll zum Schweigen mahnen, damit die kritischen Fragen und Klagen aufhören? Kennen Sie wirklich nicht den großen Trotz und Lobgesang der Maria, den sie anstimmte, als sie ihre Cousine Elisabeth aufsuchte? Die war schon nicht leise, wie man im Evangelium vom Tage des Hochfestes „Mariä Himmelfahrt“ hören und lesen kann:
Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Lukas 1,41f
Das Geistliche ist weder leise noch schweigsam, sondern laut. Es ist laut, weil es leiblich ist, denn gepriesen wird die Frucht eines Leibes, und zwar mit Seele und Leib, ja sogar aus vollem Leib. Ebenso kann man sich kaum vorstellen, dass Maria geflüstert hat, als sie spricht:
Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Lukas 1,46f
Wer singt:
Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Lukas 1,51f
tut auch das wohl aus voller Kehle und mit heißem Herzen!
Das muss die Kirche wieder lernen: Dass sie in die Welt gehört, in diese irdisch-fleischliche Wirklichkeit! Sie muss sich des geistlichen Scheins entäußern und mit Geisteskraft dem Wort Gestalt geben. Dazu wird wohl gehören, dass man sich von dem, was zum Ärgernis geworden ist und wird, radikal trennen muss, wie es Jesus selbst sagt:
Und wenn dir dein Auge Ärgernis gibt, dann reiß es aus! Es ist besser für dich, einäugig in das Leben zu kommen, als mit zwei Augen in das Feuer der Hölle geworfen zu werden. Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters. Matthäus 18,9f
Daran wird wohl kein Weg vorbeiführen. Was hilft schon ein unfehlbarer Papst, wenn die Taten dem Wort des ewigen entgegenstehen. Maria war da weiter! Sie hatte in jeder Hinsicht den Leib im Blick, weil der Sitz der Seele ist. Deshalb singt sie:
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Lukas 1,54
Den Leib zu schützen ist mehr als Gesundheitsvorsorge. Den Leib, den eigenen wie den der Nächsten, zu schützen und zu ehren ist ein Glaubensbekenntnis. Wenn die Kirche das wieder lernt – ja dann, aber nur dann, wird sie vielleicht auch wieder für die Menschen relevant …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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